,Ich bin mit dem Heere von den Lakedämoniern heraus- geschickt, Akanthier, um den Krieg in Wahrheit zu dem zu machen, was er nach unserer Erklärung zu Beginn desselben von vornherein sein sollte, ein Krieg gegen die Athener für die Freiheit Griechenlands. Wenn wir erst jetzt kommen, nachdem wir uns in der Erwartung getäuscht sahen, auch ohne euch in Mitleidenschaft zu ziehen, im Kriege mit den Athenern dort allein bald fertig zu werden, so mache man uns daraus keinen Vor­ wurf; sind wir doch jetzt, sobald es uns möglich war, erschienen und wollen versuchen, mit euch vereint sie zu bezwingen. Es wundert mich, daß ihr die Tore vor mir verschließt, statt mich mit Freuden aufzunehmen. Denn wir Lakedämonier glaubten hier Leute zu finden, die unS als Bundesgenossen willkommen heißen und. sich, auch schon bevor wir wirklich da, als solche fühlen würden. Deshalb haben wir auch die Gefahr nicht ge­ scheut, viele Tage lang durch fremdes Land zu ziehen, und dabei alle Beshcwerden willig ertragen; solltet ihr jedoch die Sache anders ansehen und von eurer Freiheit und der Freiheit Griechenlands nichts wissen wollen, so wäre das ein wahres Unglück. Denn nicht nur, daß ihr mir das Tor verschlößt, sondern auch andere, zu denen ich käme, würden Bedenken tragen, sich mir anzuschließen, wenn ihr, die ersten, zu denen ich komme, die Bürger einer so ansehnlichen Stadt, die ihr für verständige Leute geltet, mich nicht aufgenommen hättet. Und ich wüßte wirklich nicht warum. War es etwa ein Unrecht, euch die Freiheit bringen zu wollen, oder meint ihr, ich wäre mit ungenügenden Kräften gekommen und zu schwach, euch gegen Angriffe der Athener zu schützen? Als ich mit diesem meinem Heere vor Nisaia ershcien, haben die Athener trotz ihrer Über­ zahl ja nicht gewagt, es mit mir aufzunehmen, und es ist doch nicht wahrscheinlich, daß sie euch zu Schiff ein Heer ins Land schicken werden, das auch nur so stark wäre, wie sie bei Nisaia waren. ,Ich bin meinerseits ohne alle Hintergedanken lediglich zur Befreiung der Griechen hierhergekommen und habe überdies die Regierung in Lakedämon vorher mit den heiligsten Eiden verpflichtet, den Bundesgenossen, die ich gewinnen würde, ihre Unabhängigkeit zu lassen. Weit entfernt, euch durch List oder Gewalt zum Bunde mit uns nötigen zu wollen, sind wir viel­ mehr nur hier, um euch behilflich zu sein, die Knechtschaft der Athener abzuschütteln. Meiner Meinung nach habt ihr also weder Grund, nach solchen Bürgschaften, die ich euch gegeben, mir böse Absichten zuzutrauen, noch mich zu eurem Schutz für zu schwach zu halten, und könnt deshalb dreist auf unsere Seite treten. Und wenn etwa einer vom Standpunkte seiner Partei befürchtet, ich würde hier gewisse Herren in den Sattel setzen, und deshalb bedenklich sein sollte, so kann er sich auch darüber völlig beruhigen. Denn ich bin nicht hier, um Parteipolitik zu treiben, und denke nicht daran, euch eine so fadenscheinige Freiheit anzubieten, auf die es doch hinauslaufen würde, wenn ich ohne Rücksicht auf hergebrachte Verfassungszustände der Minderheit über die Mehrheit oder der Masse über die Minderheit zur Herrschaft verhelfen wollte. Denn das wäre ja noch schlimmer als Fremdherrschaft, und wir Lakedämonier würden damit für unsere Mühe keinen Dank ernten und uns statt Ruhm und Ehre nur Verwünschungen zuziehen. Was man den Athenern vor­ wirft, und weshalb wir sie bekämpfen, würde sich bei uns noch häßlicher ausnehmen als bei ihnen, denen es auf den guten Namen nicht ankommt. Für einen angesehenen Mann ist es schimpflicher, mit ehrlichem Gesicht auf krummen Wegen seinem Vorteil nachzugehen, als mit offener Gewalt; denn hierbei macht er nur vom Recht des Stärkeren Gebrauch, das ihm das Schicksal gegeben, dabei aber geht er mit Lug und Trug zu Werke. So sehr sind wir gewohnt, bei Abwägung unserer politischen Interessen mit der äußersten Vorsicht zu verfahren. „Außer jenen Eiden könntet ihr keine bessere Bürgschaft haben, als wenn ihr mir Gelegenheit gäbt, meine Worte wahr zu machen und euch die verheißenen Vorteile wirklich zu ver­ schaffen. Sagt ihr mir aber, ihr könntet auf meine Anerbietungen nicht eingehen, hofftet indes, daß es euch bei eurer Freundschaft für uns nicht zum Schaden gereichen würde, wenn ihr sie ab­ wiest, die Freiheit habe denn doch auch ihre Gefahren, und man dürfe sie niemand anbieten oder aufnötigen, der nicht in der Lage sei, sie anzunehmen, so werde ich Götter und Heroen des Landes zu Zeugen anrufen, daß ich trotz der besten Absicht, in der ich gekommen, in Güte nichts bei euch erreicht habe, euer Land verheeren und euch zu zwingen suchen. Und ich bin mir bewußt, damit kein Unrecht zu tun, sondern halte mich dazu aus zwei triftigen Gründen für berechtigt: Einmal dürfen die Lakedämonier, wenn ihr euch trotz aller Freundschaft uns nicht anschließen wollt, wenigstens nicht darunter leiden, daß ihr Steuern an die Athener zahlt, sodann aber die Griechen durch euer Verhalten nicht gehindert werden, ihr Joch ab­ zuschütteln. Sonst würden wir allerdings dazu kein Recht haben; denn wir Lakedämonier sind nicht dazu bestellt, soweit es das Interesse der Gesamtheit nicht erheischt, jemand gegen seinen Willen zu befreien. Wir streben auch nicht nach Herrschaft, aber grade weil wir anderen in dieser Beziehung das Hand­ werk zu legen suchen, wäre es unrecht gegen alle übrigen, wollten wir uns in dem Augenblick, wo wir als deren Befreier kommen, von euch Hindernisse in den Weg legen lassen. Nun also, entschließt euch und begeht keine Torheit. Laßt euch die Ehre nicht nehmen, den Griechen auf der Bahn der Freiheit voranzugehen und euch für immer mit Ruhm zu bedecken. Dann wird keinem von euch ein Haar gekrümmt werden und der Name eurer Stadt den schönsten Klang haben." So Brasidas. Die Akanthier aber entschieden sich nach vielem Für- und Widerreden, teils unter dem Eindruck seiner Worte, teils aus Furcht für ihre Ernte, in geheimer Abstimmung mit großer Mehrheit für den Abfall von den Athenern. So ließen sie ihn denn mit seinem Heere ein, nachdem sie ihn auf die bei seiner Aussendung von der lakedämonischen Regierung geleisteten Eide auch selbst noch ausdrücklich verpflichtet hatten, wonah cden Bundesgenossen, die er gewinnen würde, ihre Un­ abhängigkeit belassen werden sollte. Bald nachher fiel auch Stageiros, eine Kolonie von Andros, von den Athenern ab. Das waren die Ereignisse dieses Sommers. Gleich im Beginn des folgenden Winters, wo die böo­ tischen Pläne der athenischen Feldherren Hippokrates und Demotshenes ins Werk gesetzt werden sollten, hätte Demotshenes mit der Flotte bei Siphai und Hippokrates bei Delion eintreffen müssen. Infolge eines Mißverständnisses über den Tag, an welchem beide aufbrechen sollten, war jedoch Demosthenes mit seiner Flotte mit Akarnaniern und zahlreichen Bundesgenossen jener Gegend an Bord nach Siphai in See gegangen, hatte hier aber nichts ausgerichtet, da sein Plan von NikomachoS, einem Phokier aus Phanoteus, den Lakedämoniern und von diesen den Böotiern gesteckt war. Die Böotier hatten auch alle gleich zu den Waffen gegriffen, und da Hippokrates ihnen im Lande noch nichts zu schaffen machte, sowohl Siphai wie Chaironeia rechtzeitig besetzt. Als ihre Landsleute, welche die Sache betrieben, einsahen, daß sie mißlungen, gaben sie ihre Pläne auf, und von Verfassungsänderungen war weiter keine Rede. Hippokrates aber, der ganz Athen, Bürger, Schutzverwandte, ja selbst zeitweilig sich dort aufhaltende Fremde, auf die Beine gebracht hatte, kam erst später bei Delion an, als die Böotier von Siphai schon wieder abgezogen waren. Bei Delion, dem Heiligtum des Apollon, blieb er mit dem Heere stehen und ließ es befestigen, und zwar auf folgende Weise. Rings um das Heiligtum und den Tempel selbst wurde ein Graben aus­ geworfen und das ausgehobene Erdreich statt einer Mauer aufgeschüttet. Auch wurden Pfähle eingerammt aus Reben, die man in den Weinbergen beim Tempel gehauen, sowie Steine und Ziegel aus den in der Nähe befindlichen Trümmern eingefallener Gebäude draufgeworfen, um das Werk auf jede Weise hoch zu bringen. An geeigneten Stellen und wo von Tempelbauten nichts mehr vorhanden war, - eine Halle, die früher dort gestanden, war nämlich eingestürzt, - brachte man hölzerne Türme an. Am dritten Tage nach dem Aufbruch von Athen hatte man sich an die Arbeit gemacht und an diesem und am vierten sowie am fünften bis zum Essen weitergearbeitet. Darauf, als das Werk in der Hauptsache fertig war, zog das Heer wieder ab. Nachdem es auf dem Wege nach Hause ungefähr zehn Stadien von Delion zurückgelegt, machten die Hopliten halt, um auszuruhen, während die nur leicht und not­ dürftig bewaffnete übrige Masse gleich weiter zog. Hippokrates selbst aber blieb in Delion zurück, um wegen der Bewachung des Platzes und der dort noch erforderlichen Arbeiten das Nötige anzuordnen. In diesen Tagen aber sammelten sich die Böotier bei Tanagra. Nachdem sich die Mannschaften aus allen Städten eingefunden hatten, hörten sie, daß die Athener schon wieder abzögen. Nun waren die Böotarchen, deren es im ganzen elf gibt, fast alle gegen eine Schlacht; denn als die Athener haltmachten, waren sie beinah schon auf der Grenze bei Oropos. Nur Pagondas, Aioladas' Sohn, der mit Arianthidas, Lysimachidas' Sohn, Böotarch aus Theben war, wollte gern schlagen, solange er den Oberbefehl hatte, wie er es auch wirklich für besser hielt, eine Schlacht zu liefern. Er ließ also die Mannschaften, damit sie nicht alle zugleich ihre Stellungen verließen, abteilungsweise einzeln vortreten und setzte ihnen aus­ einander, man müßte den Athenern jetzt zu Leibe gehen und den Kampf mit ihnen ausnehmen, indem er sie also anredete: „Hätte es doch keinem unserer Feldherren in den Sinn kommen sollen, Böotier, daß wir uns mit den Athenern nicht zu schlagen brauchten, wenn wir sie nicht mehr in Böotien träfen. Sind sie uns doch über die Grenze ins Land gekommen, haben hier eine Festung gebaut und wollen Böotien zur Wüste machen. Folglich sind sie unsere Feinde, kommen sie als solche, woher sie wollen, wo immer wir sie antreffen. Und wer es früher auch für richtiger gehalten, sie ziehen zu lassen, möge sich jetzt eines besseren besinnen. Wenn man sich im eigenen Lande seiner Haut wehren muß, hat man nicht Zeit zu langer Überlegung wie der habgierige Nachbar, der sich zu Hause in aller Ruhe auf einen Raubzug vorbereitet. Seit den Tagen unserer Väter ist es bei uns immer Grundsatz gewesen, einem auswärtigen Feinde, der uns angreift, gleichviel ob im eigenen oder in fremdem Lande unbedingt zu Leibe zu gehen. Und unseren Nachbarn, den Athenern, gegenüber haben wir um so mehr Grund, darnach zu verfahren. Die Widerstandskraft den Nachbarn gegenüber ist ja doch für alle die erste Bedingung der Freiheit. Und wie sollten wir nicht im Kampfe mit ihnen, die nicht nur ihre Nachbarn, sondern auch ferne Länder zu unterjochen suchen, unsere letzte Kraft einsetzen? An Euboia hier gegenüber haben wir ja das Beispiel; wie sieht eS da aus, und was herrschen in Griechenland auch sonst fast überall für Zustände! Und wenn andere mit ihren Nachbarn um Landesgrenzen Krieg führen, so müssen wir uns klarmachen, daß, wenn wir besiegt werden, unserem Lande unwiderruflich nur eine Grenze gezogen werden wird; denn haben sie sich unseres Landes erst bemächtigt, so werden sie es ganz behalten. Darum sind die Athener unsere allergefährlichsten Nachbarn. Ein Feind, der, wie jetzt die Athener, im Vertrauen auf seine Macht seinen Nachbar angreift, wird, wenn dieser sich zugibt und höchstens im eigenen Lande wehrt, nun immer anspruchs­ voller auftreten, wenn man ihm aber schon jenseits der Grenze entgegengehkund bei Gelegenheit selbst den Angreifer macht, schon eher klein beigeben. Wir haben das ja an ihnen selbst erlebt; denn seitdem wir sie damals, wo sie hier infolge unserer inneren Zwistigkeiten Herren im Lande waren, bei Koroneia besiegt, haben sie uns bis jetzt in Ruhe gelassen. Eingedenk dessen müssen wir Alten wieder so tapfer draufgehen wie da­ mals, die Jüngeren aber als Söhne ihrer mutigen Väter sich bestreben, der alten böotischen Tapferkeit keine Schande zu machen, und so wollen wir im Vertrauen auf den Beistand des Gottes, dessen Tempel sie sich so ruchlos zur Festung ge­ macht haben, und auf unsere Glück verheißenden Opfer ihnen zu Leibe gehen, um ihnen zu zeigen, daß sie sich, wenn sie Eroberungen machen wollen, Leute suchen müssen, die nicht zu fechten verstehen, sich aber bei uns, die wir zwar nicht dabei hergekommen sind, fremde Länder zu unterjochen, wohl aber die Freiheit unseres eigenen Landes mit den Waffen in der Hand zu verteidigen, nur blutige Köpfe holen." Durch diese zündenden Worte bewirkte Pagondas, daß die Böotier sich zum Angriff auf die Athener entschlossen. Er brach auch sofort auf und setzte sich mit dem Heere in Marsch; denn es war schon spät am Tage. Nachdem er in die Nähe ihres Heeres gelangt war, machte er halt an einer Stelle, wo sie einander wegen eines dazwischen liegenden Höhenzuges nicht sehen konnten, wies den einzelnen Truppenteilen ihre Stellungen an und machte sich zur Schlacht bereit. Als Hippokrates, der sich noch bei Delion befand, gemeldet wurde, daß die Böotier im Anzüge seien, sandte er seinem Heere den Befehl, sich in Schlachtordnung zu stellen, traf dann aber bald darauf auch selbst bei ihm ein. Bei Delion ließ er un­ gefähr dreihundert Reiter zurück, sowohl um den Platz gegen einen etwaigen Angriff zu decken, als auch um den Böotieru wahrend der Schlacht im rechten Augenblick in den Rücken zu fallen. Um sie in Schach zu halten, ließen die Böotier eine Anzahl Truppen ihnen gegenüber stehen, kamen dann aber, als alles fertig war, über die Höhe zum Vorschein und stellten sich, ungefähr siebentausend Hopliten, über zehntausend Leicht­ bewaffnete, tausend Reiter und fünfhundert Peltasten, den aus­ gegebenen Befehlen gemäß auch ihrerseits in Schlachtlinie. Den rechten Flügel bildeten die Thebaner und ihre Untertanen, die Mitte die Mannschaften aus Haliartos, Koroneia, Kopai und den übrigen um den See gelegenen Orten, den linken Flügel die aus Thespiai, Tanagra und Orchomenos. Die Reiterei und das leichte Fußvolk befand sich auf beiden Flügeln. Die Thebaner standen fünfundzwanzig Mann tief, die übrigen wie es sich grade traf. Dies die Stärke und die Aufstellung der Böotier. Auf seiten der Athener stand das ganze schwere Fußvolk, woran sie den Gegnern an Zahl gewachsen waren, acht Mann tief, die Reiterei auf beiden Flügeln. Feldmäßig ausgerüstete leichte Truppen hatten sie an dem Tage nicht, waren in der Stadt überhaupt nicht vorhanden. Freilich war die Zahl derer, die den Zug mitgemacht, weit größer als die der Gegner, aber die meisten waren ohne Waffen mitgegangen, da eben die ganze Stadt, Einheimische und Fremde, sich angeschlossen hatte. Auch waren sie ja größtenteils gleich weiter nach Hause ge­ zogen und deshalb nur wenige davon hier zur Stelle. Als beide Heere in Schlachtordnung standen und der Kampf be­ reits beginnen sollte, schritt Hippokrates die Reihen der Athener ab und feuerte sie an mit folgenden Worten: „Athener! Wenige Worte nur, die ich an euch richte, aber mehr ist auch nicht nötig für tapfere Männer; es ist auch nur zur Erinnerung, nicht zur Ermutigung. Glaubt nicht, es hätte keinen Zweck, hier im fremden Lande eine Schlacht zu wagen; denn wir kämpfen hier für unser Land. Wenn wir siegen, so haben die Peloponnesier keine böotische Reiterei mehr und werden unS nie wieder ins Land kommen, und durch diese eine Schlacht werdet ihr nicht nur dies Land erobern, sondern auch I unser Land von den Drangsalen des Krieges befreien. Also drauflos und macht der Stadt Ehre, die ihr alle mit Stolz die erste Stadt Griechenlands nennt, und zeigt euch eurer Väter wert, die unter Myronidas dies Gesindel bei Oinophyta früher schon besiegt und sich Böotien unterworfen haben." Während Hippokrates seine Leute also anfeuerte, dabei aber erst bis an die Mitte seines Heeres gelangt war, kamen die Böotier, welche Pagondas hier nochmals kurz angesprochen hatte, unter Schlachtgesang von der Höhe herab. Nun gingen auch die Athener vor, und beide trafen im Lauftritt auf­ einander. Die äußersten Flügel beider Heere konnten jedoch in das Gefecht nicht eingreifen; aber dabei waren beide in gleicher Verdammnis, denn hüben und drüben bildeten tiefe Runsen ein unüberwindliches Hindernis. Auf der übrigen Linie aber entspann sich ein heißer Kampf, und die Schilde prallten aneinander. Auf dem linken Flügel und bis zur Mitte wurden die Böotier von den Athenern besiegt, die hier namentlich den Thespiern hart zusetzten; denn da deren Nebenleute nicht standhielten, wurden sie rings umfaßt und im Handgemenge gutenteils von ihnen niedergemacht. Aber auch von den Athenern, die sich in der bei der Umfassung ent­ standenen Verwirrung nicht erkannten, fielen manche unter den Streichen ihrer eigenen Landsleute. Hier also wurden die Böotier geschlagen und auf ihren noch fechtenden rechten Flügel zurückgedrängt. Dieser aber, wo die Thebaner tsanden, war den Athenern gegenüber im Vorteil und trieb sie, wenn auch anfangs nur langsam, vor sich her. Nun aber schickte Pagondas nach der Niederlage seines linken Flügels zwei Abteilungen seiner Reiter aus dem Versteck um die Höhe herum, bei deren plötzlichem Auftauchen auf dem siegreichen Flügel der Athener eine Panik entstand, weil man glaubte, es sei ein zweites Heer im Anzüge. So gerieten die Athener, hier infolge dieses blinden Lärms, dort infolge des stürmischen Vordringens der Thebaner, auf ihrer ganzen Linie in die Flucht. Zum Teil flohen sie nach Delion und an die See, zum Teil nach Oropos, wieder andere suchten Zuflucht im Parnesgebirge oder wo sie sonst Sicherheit zu finden hofften. Die Böotier aber, namentlich ihre und die lokrischen Reiter, welche grade in dem Augenblick eintrafen, wo die Flucht einsetzte, hieben auf der Verfolgung alles nieder, was ihnen vor die Klinge kam. Die Nacht machte jedoch der Verfolgung ein Ende und erleichterte es der Masse der Flüchtigen, mit dem Leben davonzukommen. Am folgenden Tage wurden dann die nach Oropos und Delion Entkommenen von hier, wo man eine Besatzung zurückließ und sich auch weiter behauptete, zu Schiff nach Hause befördert. Die Böotier aber errichteten ein Siegeszeichen. Nachdem sie ihre Toten geborgen und den gefallenen Feinden die Waffen abgenommen, auch eine Nachhut auf dem Schlachtfelde zurück- gelassen hatten, zogen sie nach Tanagra ab, in der Absicht, sich nunmehr gegen Delion zu wenden. Einem Herolde, den man aus Athen der Toten wegen abgesandt hatte, begegnete unter­ Wegs ein böotischer Herold, der ihn aufforderte, nur wieder Umzukehren; denn bevor er selbst zurück sei, würde er doch nichts ausrichten. Den Athenern aber erklärte er dann, als er bei ihnen vorgelassen wurde, im Namen der Böotier, sie hätten sich gegen Recht und Sitte der Griechen schwer ver­ gangen, da es bei ihnen ein allgemein anerkannter Grundsatz sei, daß man sich bei einem Einfall in ein anderes griechisches Land an den dort vorhandenen Heiligtümern nicht vergreifen dürfe. Sie aber hätten Delion befestigt, sich dort häuslich eingerichtet und trieben ihr Wesen dort wie an einem un­ geweihten Orte. Auch daS Wasser, welches sie selbst nur an­ gerührt, um eS als Weihwasser zu gebrauchen, würde jetzt wie gewöhnliches Wasser geschöpft und verbraucht. Um ihrer selbst und des Gottes wegen, bei den gemeinsamen Göttern und bei Apollon, forderten die Böotier sie deshalb auf, aus dem Heilig­ tum abzuziehen und, was ihnen gehöre, mitzunehmen. Nach dieser Erklärung des HeroldS schickten auch die Athener einen Herold an die Böotier und ließen ihnen sagen, sie hätten sich an dem Heiligtum nicht vergriffen und würden daS auch künftig ohne Not nicht tun; seien sie doch auch von vornherein keineswegs in solcher Absicht gekommen, sondern nur um sich von dort gegen ihre widerrechtlichen Angriffe zu verteidigen. Nach griechischem Recht gehörten dem, der ein Gebiet erobert, sei es groß oder klein, auch die darin befind­ lichen Heiligtümer, und er habe sie, soweit es ihm eben möglich sei, in herkömmlicher Weise zu pflegen. Besäßen doch auch die Böotier und viele andere in den eroberten Ländern, aus denen sie die früheren Herren verdrängt, die ursprünglich fremden Heiligtümer jetzt zu eigen. Auch sie würden, wenn sie in ihrem Lande noch weitere Eroberungen machen könnten, diese behalten und seien auch jetzt nicht gewillt, das Stück, welches sie bereits besäßen und als ihr Eigentum ansähen, zu räumen. Das Wasser hätten sie nur in der Not angerührt, in die sie nicht durch eigenen Übermut geraten seien; vielmehr hätten sie sich nur im Kampfe gegen die Böotier, die ihnen zuerst ins Land gefallen, gezwungen gesehen, es zu gebrauchen. Alle Ungebühr aber, zu der man sich im Kriege oder in der . Not gezwungen sähe, sei selbstvertsändlich auch in den Augen der Gottheit verzeihlich, wie man ja auch bei unfreiwilligen Verfehlungen an den Altären Zuflucht finde. Not kenne kein Gebot, und eine im Notstande begangene Handlung Zsei kein Verbrechen. Und wenn die Böotier ihnen die Toten nur gegen Räumung des Tempels herausgeben wollten, so sei das ein größerer Frevel als ihre Weigerung, die den Toten gebührende Ehre durch Herausgabe des Tempels zu erkaufen. Sie ver­ langten also die bestimmte Zusage, daß ihnen die Abholung der Toten unter Waffenstillstand in herkömmlicher Weise, nicht aber unter der Bedingung vorheriger Räumung böotischen Gebiets gestattet sein solle; überdies seien sie gar nicht mehr auf böotischem, sondern einem nach Kriegsrecht ihnen gehören­ den Gebiete. Die Böotier antworteten, wenn sie in Böotien wären und aus ihrem Lande abzögen, so könnten sie mitnehmen, waS sie wollten; wären sie aber im eigenen Lande, so müßten sie selbst wissen, was sie zu tun hätten, um damit anzudeuten, wenn das Grenzgebiet von Oropos, wo die Schlacht statt­ gefunden und die Toten lagen, wirklich den.Athenexn gehörte, so würden diese wider ihren Willen die Toten doch nicht mit­ nehmen, sie aber über fremdes Land keine Verträge schließen können. Die Antwort: „Wenn sie aus ihrem Lande abzögen, so könnten sie mitnehmen, was sie wollten", hielten sie für besonders geschickt. Nach dieser Antwort mußte der athenische Herold unverrichteter Sache wieder abziehen.i Die Böotier aber ließen sich gleich vom melischen Meer­ busen noch Wurfschützen und Schleuderer kommen, und da sie nach der Schlacht durch zweitausend korinthische Hopliten und die aus Nisaia abgezogene peloponnesische Besatzung und die zu ihr gestoßenen Megarer verstärkt worden waren, rückten sie vor Delion und griffen die Festungswerke an. Dabei bedienten sie sich unter anderem auch einer von ihnen ausgedachten Vorrichtung, vermittelst deren es ihnen dann auch gelang, sie zu nehmen. Sie sägten nämlich einen mächtigen Balken der Länge nach in zwei Teile und fügten ihn, nachdem sie ihn ausgehöhlt, genau wieder zusammen, so daß er eine Röhre bildete. An einem Ende hingen sie an Ketten ein Becken auf, in daS sie aus dem Balken ein am unteren Ende eisernes Blasrohr leiteten, wie denn auch der Balken selbst noch ein gutes Stück mit Eisen beschlagen war. Diese Vorrichtung brachten sie von weitem auf Wagen an die Mauer heran da, wo sie hauptsächlich aus Holz und Reben hergestellt war, und wenn sie damit dicht dran waren, bliesen sie mittelst großer, auf ihrem Ende des Balkens angebrachter Blasebälge Luft hinein. Dann fuhr der Luftstrom durch die Röhre in das mit Pech und Schwefel und glühende Kohlen gefüllte Becken, ent­ fachte dort eine mächtige Flamme und setzte die Mauer in Brand, so daß es niemand dort aushalten konnte, sondern alles davonlief, und das Werk auf diese Weise genommen wurde. Ein Teil der Besatzung kam ums Leben, zweihundert wurden gefangengenommen; die Mehrzahl schiffte sich ein und kam glücklich nach Hause. Als Delion siebzehn Tage nach der Schlacht genommen war und der Herold der Athener, der noch nichts davon wußte, bald nachher der Toten wegen wiederkam, beschieden ihn die Böotier nicht wie daS erstemal, sondern gaben die Toten heraus. Auf seiten der Böotier waren in der Schlacht nicht ganz fünfhundert gefallen, Athener nahezu tausend, darunter Hippokrates, ihr Feldherr, dazu eine große Zahl Leichtbewaff­ neter und Troßknechte. Kurz nach dieser Schlacht fuhr Demosthenes, dem sein Plan, Siphai durch Verrat zu nehmen, damals mit der Flotte nicht gelungen war, mit Akarnaniern, Agraiern und vierhundert athenischen Hopliten an Bord nach Sikyon und versuchte im dortigen Gebiete eine Landung. Noch bevor alle Schiffe an­ gekommen waren, erschienen jedoch die Sikyoner auf dem Plan, schlugen die bereits Gelandeten in die Flucht und ver­ folgten sie an die Schiffe, wobei sie eine Anzahl töteten, andere gefangennahmen. Darauf errichteten sie ein Sieges­ zeichen und gaben die Toten unter Waffenstillstand heraus. In den Tagen der Kämpfe bei Delion erlitt auch der Odrysen- könig Sitalkes auf einem Zuge gegen die Triballer eine Niederlage und kam dabei ums Leben. Sein Neffe Seuthes, Sparadokos' Sohn, folgte ihm als König der Odrysen und seines thrakischen Reichs. In demselben Winter zog Brasidas mit den vorder­ thrakischen Bundesgenossen gegen die athenische Kolonie Amphipolis am Strymon. Da, wo jetzt die Stadt steht, hatte schon Aristagoras von Milet nach seiner Flucht vor König Dareios eine Kolonie zu gründen versucht, wurde aber von den-Edonern vertrieben. Danach, zweiunddreißig Jahr später, hatten auch die Athener zehntausend Ansiedler, Bürger und andere, die sich anschließen wollten, dorthin geschickt, die jedoch bei Drabeskos von den Thrakern aufgerieben wurden. Und nach weiteren neunundzwanzig Jahren sandten die Athener dann unter Hagnon, Nikias' Sohn, abermals Kolonisten hin, welche die Edoner vertrieben und an dem Orte, der früher Neunwege hieß, die jetzige Stadt gründeten. Dabei kamen sie von Eion, dem athenischen Stapelplatze an der Mündung des Flusses, fünfundzwanzig Stadien unterhalb der jetzigen Stadt. Haynon aber gab ihr den Namen Amphipolis, weit der Strymon sie in einem Bogen auf zwei Seiten umfloß und er selbst, um sie ringsherum einzuschließen, von Fluß zu Fluß eine lange Mauer gezogen hatte, so daß sie zu einem von der Land- und Seeseite weithin sichtbaren Platze ge­ worden war. Gegen diese Stadt zog Brasidas, der von Arnai in Chalkidike aufgebrochen war, also jetzt mit seinem Heere. Gegen Abend erreichte er Aulon und Bromiskos, wo der See Bolbe in die See mündet. Hier ließ er abkochen und setzte dann in der Nacht seinen Marsch fort. Es war stürmisches Wetter und schneite ein wenig. Um so mehr beeilte er sich, weil in Amphipolis außer den Verrätern, die ihm die Stadt übergeben wollten, niemand was von ihm merken sollte. In der Stadt gab es nämlich eine Anzahl Leute aus Argilos, einer Kolonie von Andros, und einige andere, die mit ihm durch- steckten und dazu teils von Perdikkas, teils von den Chalkidiern beredet waren. Besonders aber hatten die den Athenern von jeher verdächtigen Bewohner von Argilos dort in der Nähe, die es immer auf Amphipolis abgesehen hatten, als sich die Gelegenheit bot und Brasidas kam, schon länger mit ihren in Amphipolis ansässigen Landsleuten darüber unterhandelt, wie man ihm die Stadt in die Hände spielen könne. Auch nahmen sie ihn jetzt in ihre Stadt auf, fielen von den Athenern ab und brachten sein Heer in jener Nacht noch vor Tagesanbruch bis an die über den Fluß führende Brücke. Die Stadt selbst ist noch eine Strecke weit von der Brücke entfernt, und die Mauern waren damals noch nicht so weit herabgeführt wie jetzt, sondern es befand sich dort nur ein schwacher Posten. Nachdem Brasidas, dem auch hier Verrat und außerdem das herrschende Unwetter zustatten kam, diesen durch einen uner­ warteten Angriff überwältigt hatte, überschritt er die Brücke, womit alles, was die Einwohner von Amphipolis in der ganzen Gegend außerhalb der Stadt besaßen, ohne weiteres in seine Hände fiel. Da sein Übergang über den Fluß den Städtern völlig unerwartet kam, draußen aber viele der Ihrigen dem Feinde in die Hände gefallen, andere von dort in die Stadt geflüchtet waren, so entstand in Amphipolis die größte Bestürzung, zu­ mal man sich dort untereinander nicht traute, und, wie es heißt, hätte Brasidas die Stadt wahrscheinlich nehmen können, wenn er sie, statt seine Leute plündern zu lassen, gleich angegriffen hätte. Statt dessen ließ er sein Heer ein Lager beziehen und die Umgegend abstreifen, und da seine Anhänger in der Stadt sich wider Erwarten nicht rührten, unternahm auch er vorerts nichts weiter. Die den Verrätern an Zahl überlegene Gegen­ partei aber verhinderte das sofortige Äffnen der Tore und schickte im Einvernehmen mit Eukles, dem zum Schutze des Platzes anwesenden athenischen Feldherrn, zu Thukydides, Oloros' Sohn, dem Verfasser dieser Geschichte, dem anderen Feldherrn an der thrakischen Küste, der sich damals bei der Insel Thasos befand, und ließ ihn bitten, der Stadt zu Hilfe zu kommen. Thasos ist eine Kolonie von Paros und Amphi­ polis von dort zu Schiff ungefähr in einem halben Tage zu erreichen. Der ging auch darauf sofort mit sieben grade zur Stelle beifndlichen Schiffen unter Segel, um womöglich, ehe es zur Übergabe käme, Amphipolis noch zu erreichen oder doch wenigstens Eion vorher noch zu besetzen. Brasidas aber, welcher fürchtete, die Schiffe von Thasos könnten kommen, und überdies erfahren hatte, daß Thukydides an den thrakischen Goldbergwerken in jener Gegend beteiligt und infolgedessen dortzulande ein vielvermögender Mann sei, suchte sich indessen vorher womöglich in den Besitz von Amphi­ polis zu setzen, damit die Einwohner nicht nach seiner Ankunft in der Hoffnung auf den Beistand seiner Flotte und der von ihm in Thrakien aufgebotenen Streitkräfte die Übergabe der Stadt von der Hand wiesen. Er hielt es deshalb für geraten, ihnen die Sache durch glimpfliche Bedingungen schmackhaft zu machen, und ließ ihnen durch einen Herold ankündigen, daß es sowohl den Einheimischen wie den Athenern freistehen solle, unter voller Rechtsgleichheit im ungestörten Besitz ihreS Eigen­ tums in der Stadt zu bleiben oder binnen fünf Tagen von dort abzuziehen und ihre Habseligkeiten mitzunehmen. Infolge, dieser Ankündigung schlug die Stimmung der Menge um, zumal die Einwohnerschaft nur zum kleinsten Teil aus Athenern und in der Hauptsache aus einem bunten Völker­ gemisch bestand. Zudem wohnten in der Stadt zahlreiche An­ gehörige der draußen in Gefangenschaft Geratenen. Auch hielt man das Angebot im Vergleich mit dem, was man befürchtet hatte, immer noch für billig genug; die Athener waren froh, fortzukommen, überzeugt, daß sie dabei immer noch am besten fahren und auf Hilfe von auswärts so bald nicht würden rechnen können, die anderen, daß sie wie bisher im Besitz ihrer Rechte bleiben sollten und sich unverhofft aller Gefahr über­ hoben sahen. So traten denn die Anhänger des Brasidas, als sie merkten, daß die Menge anderes Sinnes geworden war und aus den athenischen Feldherrn in der Stadt nicht mehr hören wollten, nunmehr ganz offen für die Sache ein. Der Vertrag wurde dann auch abgeschlossen und Brasidas auf seine Bedingungen eingelassen. Auf diese Weise wurde ihm die Stadt überliefert. Thukydides aber kam noch an demselben Abend mit seinen Schiffen in Eion an. Brasidas hatte Amphi­ polis schon im Besitz, und nur eine Nacht noch, so hätte er auch Eion genommen; denn wären die Schiffe nicht so schnell zur Stelle gewesen, so hätte er es bei Tagesanbruch in Händen gehabt. Thukydides ordnete in Eion das Nötige an, um den Platz sowohl gegen einen augenblicklichen Angriff des Brasidas, als auch für später zu sichern, und nahm dort alle auf, die sich auf Grund des Vertrags aus der oberen Stadt dahin be­ geben wollten. Da kam Brasidas plötzlich mit vielen Fahr­ zeugen den Fluß herab nach Eion, um sich womöglich der von der Mauer vorspringenden Landspitze zu bemächtigen und da­ durch die Einfahrt zu beherrschen. Indessen wurde er damit und ebenso mit einem gleichzeitig zu Lande unternommenen Ver­ suche abgewiesen. Seitdem richtete er sich bei Amphipolis ein. Auch Myrkinos, eine Stadt der Edoner, ging zu ihm über, nachdem Pittakos, der König der Edoner, von den Söhnen des Goaxis und seiner Gemahlin Breuro ermordet worden war, ebenso GalepsoS und bald nachher auch Oisyme, beides Kolonien von Thasos. Übrigens war auch Perdikkas, der sich gleich nach der Einnahme von Amphipolis dort eingestellt hatte, ihm dabei behilflich gewesen. Der Fall von Amphipolis setzte die Athener sehr in Schrecken, schon weil ihnen die Stadt für die Zufuhr von Schiffsbauholz und der Steuern wegen von Wert war. Hatte den Lakedämoniern auch bisher im Gebiet der Thessaler der Weg zu ihren Bundesgenossen bis zum Strymon offen ge­ standen, so konnten sie doch, solange sie nicht im Besitz der Brücke waren, nickt weiter vorbringen; denn landeinwärts bildete der Fluß auf eine weite Strecke einen großen See, und auf der Seite nach Eion paßten ihnen die Kriegsschiffe auf; jetzt aber würde ihnen daS ein leichtes sein. Auch fürchteten sie, die Bundesgenossen würden von ihnen abfallen; denn Brasidas trat in jeder Beziehung mit großer Mäßigung auf und erklärte bei jeder Gelegenheit, daß er nur ausgesandt sei, um Griechenland zu befreien. Und in der Tat wurden die den Athenern untertänigen Städte, als sie von der Einnahme von Amphipolis, den milden Bedingungen und seinem Wohl­ wollen hörten, von einem wahren Freiheitstaumel ergriffen, ließen ihn heimlich auffordern, zu ihnen zu kommen, und jede wollte die erste sein, die sich von Athen lossagte. Sie hielten das nämlich jetzt nicht weiter für gefährlich, wobei sie sich freilich, wie sich später zeigen sollte, über die Macht der Athener gewaltig täuschten. Aber so sind die Menschen, statt sich dir Sache reiflich zu überlegen, lassen sie sich in der Regel von unklaren Wünschen leiten, immer geneigt, bei dem, wonach ihnen der Sinn steht, sich in blinden Hoffnungen zu wiegen, während sie von Dingen, die ihnen unerwünscht sind, nichts wissen wollen. Und da die Athener obendrein kürzlich in Böotien geschlagen waren und Brasidas ihnen zwar wahrheits­ widrig, aber doch sehr einleuchtend geschildert hatte, wie die Athener es bei seinem Zuge nach Nisaia mit ihm allein nicht aufzunehmen gewagt hätten, fühlten sie sich vollends sicher und glaubten, niemand könne ihnen waS anhaben. Hauptsächlich aber, weil ihnen die Sache in dem Augenblick angenehm war und sie erst mal sehen wollten, was denn die Lakedämonier könnten, scheuten sie sich nicht, leichtsinnig mit dem Feuer zu spielen. Als die Athener davon hörten, sandten sie, soweit es in der Eile und zur Winterszeit anging, Besatzungen in die Städte; Brasidas aber schickte ebenfalls nach Lakedämon und bat dringend um Verstärkungen, begann jedoch auch selbst am Strymon mit dem Bau von Kriegsschiffen. Die Lakedämonier aber taten ihm den Gefallen nicht, teils weil die ersten Männer neidisch auf ihn waren, teils weil ihnen mehr daran tag, die Gefangenen von der Insel wiederzubekommen und dem Kriege ein Ende zu machen. In demselben Winter eroberten die Megarer ihre langen Mauern wieder und zerstörten sie bis auf den Grund, Brasidas aber zog nach der Einnahme von Amphipolis mit den Bundes­ genossen nach der Halbinsel Akte. Diese erstreckt sich vom Durchstich des Königs in südlicher Richtung und endet mit dem ins Ägäische Meer vorspringenden Athosgebirge. An Städten gibt eS dort Sane, eine Kolonie von Andros, un­ mittelbar am Durchstich auf der Euboia gegenüberliegenden Küste; außerdem noch Thyssos, Kleonai, Akrothooi, Olophyros und Dion, in denen ein barbarisches, zweisprachiges Mischvolk wohnt, das zum Teil auch aus Chalkidiern, in der Hauptsache aber aus Pelasgern, und zwar jenen vormals auf Lemnos und in Athen heimischen Thprsenen, und aus Bisaltern, Krestonern und Edonern besteht. Die von ihnen bewohnten Städte sind aber alle nur klein. Die meisten gingen zu Brasidas über, Widerstand leisteten nur Sane und Dion, weshalb er mit seinem Heere dort stehen blieb und ihr Gebiet verheerte. Da sie sich aber nicht ergeben wollten, zog er flugs vor das chalkidische Torone, daS von den Athenern besetzt war. Ein paar Einwohner hatten ihn dazu eingeladen und sich er­ boten, ihm die Stadt in die Hände zu spielen. Er traf noch bei Nacht kurz vor Tagesanbruch ein und ließ sein Heer bei dem etwa drei Stadien von der Stadt entfernten Dioskuren­ tempel haltmachen, ohne daß die übrige Einwohnerschaft oder die athenische Besatzung etwas davon merkte. Von den Ver­ rätern aber, welche wußten, daß er kommen würde, waren einige hinausgezogen, um ihn zu erwarten, und als sie sahen, daß er da war, nahmen sie sieben seiner Leute, die nur mit Dolchen bewaffnet waren, mit in die Stadt. Ursprünglich sollten es zwanzig sein, aber nur die sieben hatten sich nicht gefürchtet, mit hineinzugehen. Ihr Anführer war Lysistratos aus Olynth. Durch eine Mauerlücke an der Seeseite gelangten sie hinein und hinauf bis an den höchsten Punkt der an einem Hügel gelegenen Stadt, ohne von der hier Wache haltenden Mannschaft bemerkt zu werden, stachen diese nieder und sprengten die kanastraiische Mauerpforte. Brasidas, der inzwischen etwas nähergerückt war, hatte, während er mit dem übrigen Heere stehen blieb, hundert Pel­ tasten vorausgeschickt, welche, sobald ein Tor geöffnet und das verabredete Zeichen gegeben wäre, zuerst eindringen sollten. Diese waren, während zu ihrer Verwunderung darüber längere Zeit verging, nach und nach bis dicht an die Stadt gelangt. Unterdessen hatten auch jene Toroner und die mit ihnen Ein­ gedrungenen drinnen das Ihrige getan, die Pforte gesprengt und das Stadttor am Markte, dessen Querbalken sie zer­ schlugen, geöffnet. Zuerst führten sie einige um die Stadt herum durch die Pforte herein, damit die nichts ahnenden Einwohner durch das plötzliche Erscheinen des Feindes im Rücken und auf beiden Seiten in Schrecken versetzt würden. Darauf gaben sie das verabredete Feuerzeichen und ließen dann auch die übrigen Peltasten durch das Tor am Markte in die Stadt. Sobald Brasidas das Zeichen sah, brach er mit dem ganzen Heere auf und ließ es im Lauftritt mit Geschrei gegen die Stadt vorgehen, die dadurch in die äußerste Bestürzung geriet. Seine Leute drangen zum Teil gradeswegs durch das Tor ein, zum Teil über viereckige Balken, welche an der Stadtmauer tagen und beim Ausbau der verfallenen Mauer zum Hinaufbringen von Steinen benutzt werden sollten. Er selbst wandte sich mit der Mehrzahl gleich gegen die oberen Teile der Stadt, um sie von dort völlig in seiner Gewalt zu haben, während die übrige Masse sich nach allen Richtungen durch die Stadt verbreitete. Infolge dieser Überrumpelung geriet die Mehrzahl der Einwohner, welche um die Sache nicht wußte, gänzlich außer Fassung. Die Eingeweihten aber und alle, denen sie nach Sinne war, schlugen sich gleich auf die Seite der eingedrungenen Feinde. Von den durch den Lärm geweckten Athenern, - denn etwa fünfzig Hopliten hatten auf dem Markte im Schlafe ge­ legen, - fielen einige im Handgemenge; die übrigen retteten sich, teils zu Lande, teils auf zwei dort Wache haltende Schiffe und fanden Zuflucht in dem Kastell Lekythos, welches, an einer vorspringenden Spitze der Stadt belegen, nur durch eine schmale Landenge mit ihr zusammenhängt und allein von Athenern besetzt war. Ebendahin flüchteten sich auch die Toroner, die es mit den Athenern hielten. Als es Tag geworden war und Brasidas die Stadt bereits vollständig in seiner Gewalt hatte, ließ er den mit den Athenern geflüchteten Toronern durch einen Herold sagen, wenn sie wollten, könnten sie alle wieder nach Hause kommen und unangefochten in der Stadt bleiben; zu den Athenern aber schickte er einen Herold mit der Aufforderung, aus Lekythos, das den Chalkidiern gehöre, unter Waffenstillstand mit Sack und Pack abzuziehen. Die erklärten indessen, sie würden bleiben, baten ihn jedoch, ihnen für einen Tag Waffenstillstand zu be­ willigen, um ihre Toten abholen zu können. Er aber be­ willigte ihnen zwei, die er dann dazu benutzte, um die Häuser in der Nähe zu befestigen, wie das die Athener auf ihrer Seite auch taten. Darauf berief er eine Versammlung der Toroner und hielt ihnen eine Rede, ähnlich wie in Akanthos: Sie dürften die Männer, die ihm zur Einnahme der Stadt die Hand geboten, nicht für Schurken oder Verräter halten; denn sie hätten das nicht getan, weil sie bestochen gewesen oder um die Stadt in Knechtschaft zu bringen, sondern in der löblichen Absicht, ihr zur Freiheit zu verhelfen; auch möchten sie nicht glauben, daß die anderen, die das nicht mitgemacht, deshalb schlechter behandelt werden würden; denn er sei nicht ge­ kommen, um der Stadt oder deren Einwohnern was zuleide zu tun. Deswegen habe er auch das Anerbieten an die zu den Athenern Geflüchteten gerichtet, weil er sie trotz ihrer Vorliebe für die Athener darum doch nicht für schlechtere Bürger halte. Auch sei er überzeugt, wenn sie die Lakedämonier erst kennen lernten, würden sie diese nicht minder, ja schon weil sie ehr­ licher zu Werkes gingen, erst recht lieb gewinnen, und nur weil sie sie noch nicht gekannt, hätten sie sich bisher vor ihnen gefürchtet. Allen aber mache er es zur Pflicht, sich von nun an als treue Bundesgenossen zu bewähren, dumme Streiche würden ihnen in Zukunft nicht geschenkt werden. Bis jetzt hätten sie selbst unter fremder Übermacht gelitten und sich gegen die Lakedämonier nichts zuschulden kommen lassen, und wäre das auch wirklich mal der Fall gewesen, so solle ihnen das nicht aufs Kerbholz kommen. Nachdem er sie mit solchen Worten beruhigt hatte und der Waffenstillstand abgelaufen war, schritt er zum Angriff auf Lekythos; die Athener aber verteidigten sich dagegen aus ihren elenden Werken und den mit Schutzwehren versehenen Häusern, schlugen auch am ersten Tage alle Angriffe ab. Am folgenden Tage aber, als der Feind eine Maschine gegen sie vorführen und daraus in das Holzwerk der Umwallung Feuer werfen wollte und mit seinem Heere bereits zum Angriff vor­ ging, errichteten sie an der schwächsten Stelle, wo man die Maschine ihrer Meinung nach ansetzen würde, auf einem Unterbau einen hölzernen Turm und brachten viele Eimer und Fässer mit Wasser sowie eine Anzahl Leute hinauf. Der Bau war jedoch zu schwer belastet und brach plötzlich mit gewaltigem Krach zusammen. Die Athener in der Nähe, die das mit an­ sahen, erfüllte es mehr mit Bedauern als mit Schrecken; die aber, welche weiter, zumal sehr weit davon entfernt waren, glaubten nicht anders, als daß der Platz schon genommen sei, und flohen eiligst nach der See und den Schiffen. Als Brasidas merkte, daß sie die Brustwehren verließen, und sah, was sich ereignet hatte, ließ er sein Heer gleich stürmen und eroberte den Platz, wobei alles, was ihm in die Hände fiel, niedergemacht wurde. Die Athener aber, welche so von dort auf die Kriegsschiffe und andere Fahrzeuge ent­ kommen waren, gelangten glücklich nach Pallene hinüber. Bei Beginn des Sturmes hatte Brasidas öffentlich ausrufen lassen, der erste auf der Mauer solle von ihm dreißig Silberminen zum Geschenk erhalten. Jetzt aber glaubte er, daß er die Ein­ nahme übermenschlicher Kraft verdanke, und ließ deshalb in dem in Lekythos befindlichen Tempel der Athena die dreißig Minen als Geschenk für die Göttin niederlegen, den Platz ab­ tragen und ausräumen und das Ganze zu Tempelland machen. Den Rest des Winters benutzte er, um die bereits gewonnenen Plätze instand zu setzen und sich auf weitere Unternehmungen vorzubereiten. Mit Ablauf dieses Winters endete das achte Jahr des Krieges. Gleich im Beginn des nächsten Sommers schlossen die Lakedämonier und die Athener einen einjährigen Waffenstillstand. Die Athener, weil sie glaubten, Brasidas würde ihnen dann keine Städte mehr abtrünnig machen können, bevor sie Zeit gehabt, ihre Rüstungen zu vollenden, und außerdem darauf hofften, später in der Lage zu sein, unter günstigeren Ver­ hältnissen Frieden zu schließen. Die Lakedämonier aber, welche bei den Athenern Befürchtungen voraussetzten, wie sie bei ihnen in der Tat vorhanden waren, meinten, wenn Not und Sorgen des Krieges nur erst eine Zeitlang aufhörten und die Athener dessen froh geworden wären, so würden sie schon eher geneigt sein, die Hand zum Frieden zu bieten, die Gefangenen heraus­ zugeben und einen Vertrag auch auf längere Zeit einzugehen. Sie legten nämlich besonderen Wert darauf, ihre Gefangenen zurückzuerhalten, solange Brasidas noch neue Erfolge erzielte; denn hätte er schon so viel erreicht, um den Athenern völlig die Wage zu halten, so hätten sie ihre Leute schwerlich wieder­ gesehen und es immer noch mit ebenbürtigen Gegnern zu tun gehabt. So wurde denn zwischen ihnen und den Bundes­ genossen folgender Waffenstillstand geschlossen: „Anlangend den Tempel und das Orakel deS pythischen Apollon schlagen wir vor, jedem freizustellen, dort wie von Alters her ungehindert zu verkehren. Die Lakedämonier und die anwesenden Bundesgenossen sind damit einverstanden und übernehmen es, dazu womöglich auch die Zustimmung der Böotier und der Phokier zu erwirken. Anlangend das Tempel­ gut werden wir zu ermitteln suchen, wer sich daran wider­ rechtlich vergriffen hat, und für die Herstellung des hergebrachten Zustandes sorgen, wir sowohl wie ihr und wer sich sonst dazu berufen fühlt.. In Ansehung des Besitzstandes schlagen die Lakedämonier und ihre Bundesgenossen folgendes vor: Wenn die Athener den Waffenstillstand annehmen, so sollen beide Teile innerhalb der von ihnen besetzten Gebiete bleiben, die Athener also einerseits bei Koryphasion bis Buphras und Tomeus, anderseits auf Kythera, aber keinen Verkehr mit den Bundesgenossen unterhalten, sie so wenig mit unseren wie wir mit ihren; bei Nisaia und Minoa sollen sie die Straße, welche vom Tore beim Nisostempel nach dem Poseidontempel und von da grade auf die Brücke nach Minoa führt, nicht über­ schreiten, - ebensowenig sollen die Megarer und ihre Bundes­ genossen diese Straße überschreiten. Die von ihnen besetzte Insel sollen die Athener behalten, jedoch unter Ausschluß jedes Verkehrs zwischen hüben und drüben, und ebenso alles, was sie im Gebiet von Troizen auf Grund der darüber zwischen ihnen und den Troizenern getroffenen Vereinbarungen gegen­ wärtig besitzen. Der Verkehr zur See innerhalb der eigenen Gewässer und denen der Bundesgenossen soll unverwehrt, den Lakedämoniern und ihren Bundesgenossen aber nicht gestattet sein, die See mit Kriegsschiffen oder anderen Ruderfahrzeugen von mehr als fünfhundert Talenten zu befahren. Herolde und Gesandtschaften in Friedens- oder Rechtsangelegenheiten, mit Gefolge nach Belieben, sollen nach dem Peloponnes und nach Athen sowohl zu Lande wie zur See ungehindert hin und her reisen dürfen. Überläufer sollen während dieser Zeit nicht angenommen werden, weder Freie noch Sklaven, weder von uns noch von euch. Rechtshändel unter uns sollen in hergebrachter Weise vor Gericht ausgetragen, Streitigkeiten also nicht mit den Waffen, sondern im Wege Rechtens entschieden werden. Das sind die Vorschläge der Lakedämonier und ihrer Bundesgenossen. Glaubt ihr, waS Besseres vorschlagen zu können, so kommt nach Lakedämon und laßt es uns wissen. Allen berechtigten Wünschen, die ihr etwa vorbringt, werden sowohl wir Lakedämonier wie unsere Bundesgenossen gern entgegenkommen. Laßt eure Abgesandten Vollmacht mitbringen, wie ihr das ja auch von uns verlangt. Der Waffenstillstand soll ein Jahr dauern. Beschluß des Volks. Prytanie Akamantis. Schriftführer Phainippos. Vorsitzender Nikiades. Laches beantragte, den Waffenstillstand auf Grund der von den Lakedämoniern und ihren Bundesgenossen vorgeshclagenen Bedingungen abzuschließen, den Athenern zum Heil. Das Volk genehmigte den Abschluß des Waffenstillstandes auf ein Jahr, zu beginnen vom heutigen Tage, dem vierzehnten des Monats Elaphebolion. Unterdessen sollen Gesandte und Herolde beider Teile zu Friedensverhandlungen zusammentreten, die Feldherren und Prytanep aber eine Versammlung berufen, um zunächst einen Beschluß der Athener über die den Gesandten zu dem Ende zu erteilenden Instruktionen herbeizuführen. Die anwesenden Gesandten sollen sich gleich vor dem Volke feierlich verpflichten, den Waffenstillstand ein Jahr lang unverbrüchlich zu halten." Diesen Vertrag schlossen die Lakedämonier und ihre Bundesgenossen mit den Athenern und deren Bundesgenossen, und die Lakedämonier und ihre Bundesgenossen beshcworen ihn am Zwölften des lakedämonischen Monats Gerastios. Für Lakedämon beschlossen und beschworen ihn Tauros, Echetimidas' Sohn, Athenaios, Perikleidas' Sohn, und Philocharidas, Erp­ xidaidas' Sohn; für Korinth Aineas, OkyloS' Sohn, und Euphamidas, Aristonymos' Sohn; für Sikyon Damotimos, Neukrates' Sohn, und Euasimos, Megakles' Sohn; für Megara Nikasos, Kekalos' Sohn, und Menekrates, AmphidoroS' Sohn; für Epidauros Amphias, Eupaidas' Sohn; für Athen die Feldherren Nikostratos, Diitrephes' Sohn, Nikias, NikeratoS' Sohn, und Autokles, Tolmaios' Sohn. So also kam der Waffenstillstand zustande, während dessen dann beständig über einen dauernden Frieden unter ihnen verhandelt wurde. In den Tagen, wo die Gesandten zusammentraten, ging die Stadt Skione auf Pallene von den Athenern zu Brasidas über. Die Einwohner behaupten, Pallener aus dem Pelo­ ponnes zu sein, die vorzeiten bei dem Sturm, der die Achäer auf der Rückfahrt von Troja betroffen, an dies Land ver­ schlagen und dort sitzen geblieben seien. Als sie zu ihm über­ gehen wollten, fuhr Brasidas bei Nacht nach Skione hinüber. Er ließ dabei ein befreundetes Kriegsschiff vorausfahren, dem er selbst in einer Jolle in einiger Entfernung nachfolgte, da­ mit, falls ihm ein größeres Fahrzeug begegnen sollte, daS Kriegsschiff ihm zu Hilfe kommen könnte. Ein etwa auf­ kommendes anderes Kriegsschiff von gleicher Größe aber, meinte er, würde sich nicht an daS kleine Fahrzeug, sondern an das Kriegsschiff machen, und er unterdessen Zeit haben, das Weite zu suchen. In Skione angelangt, ließ er die Bewohner zu­ sammenrufen und sagte ihnen dasselbe, was er in Akanthos und Torone gesagt, dem er hinzufügte, ihr Verhalten sei des­ halb besonders rühmlich, weil sie hier auf der von den Athenern in Potidäa am Isthmus abgesperrten Halbinsel Pallene sozu­ sagen auf einer Insel wohnten und sich trotzdem von selbst für die Freiheit entschieden und damit nicht ängstlich gewartet hätten, bis man sie mit Gewalt zu ihrem Glück gezwungen. Das sei ein Beweis, daß sie unter allen Umständen mutig ihren Mann stehen würden, wenn die Sache nach Wunsch ginge. Er werde sie deshalb in der Tat als die treuesten Freunde der Lakedämonier ansehen und ihnen überhaupt alle Ehre erweisen. Die Skioner fühlten sich durch diese Worte sehr gehoben, und alle, auch die, welchen die Sache anfangs nicht nach Sinne gewesen war, faßten Mut und waren entschlossen, den Krieg mannhaft zu bestehen. Brasidas aber überhäuften sie mit Ehren; von Stadt wegen überreichte man ihm, dem Befreier Griechenlands, einen goldenen Kranz, und die Einwohner schmückten ihn mit Binden und feierten ihn wie einen Sieger bei den Kampfspielen. Daraus fuhr er wieder ab und ließ vorläufig nur eine kleine Besatzung bei ihnen zurück. Bald nachher aber kam er mit größeren Kräften wieder herüber, um mit ihnen einen Handstreich gegen Mende und Potidäa zu führen und den Athenern zuvorzukommen, die nach dem Insellande hier wahrscheinlich auch Truppen senden würden. Auch knüpfte er in beiden Städten Verbindungen an, um sich ihrer womöglich durch Verrat zu bemächtigen. Eben als er im Begriff war, seinen Handstreich gegen sie auszuführen, trafen Aristonymos aus Athen und AthenaioS aus Lakedämon, welche beauftragt waren, die Nachricht vom Abschlüsse des Waffenstillstandes überall hinzubringen, auf einem Kriegsschiffe bei ihm ein und setzten ihn von dem Ver­ trage in Kenntnis, und nun ging sein Heer wieder nach Torone zurück. Die Bundesgenossen der Lakedämonier an der thra­ kischen Küske nahmen an, daß sie sämtlich in den Vertrag ein­ begriffen seien. Bezüglich der übrigen war Aristonymos da­ mit einverstanden, für Skione aber wollte er eS nicht gelten lassen, da es nach seiner Berechnung erst an einem späteren Tage abgefallen war. Brasidas aber widersprach dem ent­ schieden und blieb dabei, es sei früher gewesen, und gab die Stadt nicht heraus. Als Aristonymos das nach Athen berichtete, hatten die Athener nicht übel Lust, Skione sogleich mit Krieg zu überziehen. Die Lakedämonier, welche Brasidas glaubten, ließen ihnen jedoch durch Gesandte bedeuten, damit würden sie sich eines Vertragsbruchs schuldig machen, und nahmen die Stadt für sich in Anspruch, waren indessen bereit, sich dieserhalb einer richterlichen Entscheidung zu unterwerfen. Darauf wollten die Athener es aber nicht ankommen lassen, sondern lieber gleich losschlagen, empört, daß selbst das Jnsel­ volk sich jetzt schon herausnähme, im Vertrauen auf die Lake­ dämonier von ihnen abzufallen, die ihm mit ihrer Landmacht doch nicht helfen könnten. Mit dem Zeitpunkte des Abfalls verhielt es sich übrigens in der Tat so, wie die Athener an­ nahmen ; denn Skione war erst zwei Tage später übergegangen. Auf Antrag Kleons beschlossen sie auch gleich, Skione zu zer­ stören und die Einwohner hinrichten zu lassen, und trafen zu dem Ende ihre Vorbereitungen, indem sie einstweilen auf andere Unternehmungen verzichteten. Inzwischen siel die Stadt Mende auf Pallene, eine Kolonie von Eretria, von ihnen ab. Brasidas nahm sie an und glaubte damit kein Unrecht zu tun, da sie während des Waffenstillstandes offen zu ihm übergegangen war, zumal er auch den Athenern verschiedene Vertragsverletzungen schuld gab. Die Mender aber hatten das um so unbedenklicher gewagt, weil sie sahen, daß sie auf Brasidas rechnen konnten, wie er ja auch Skione nicht herausgegeben hatte. Überdies gab es in der Stadt eine wenn auch nicht zahlreiche Partei, die sich schon vorher mit ihm eingelassen und ihr Vorhaben durchsetzen wollte, ja schon aus Furcht, ihre Treibereien könnten an den Tag kommen, die Einwohnerschaft gegen ihre eigentliche Neigung dazu gedrängt hatte. Die Athener, die davon sogleich Nach­ richt erhielten, gerieten darüber vollends in Wut und rüsteten gegen beide Städte. Brasidas aber, der sich auf die Ankunft ihrer Flotte gefaßt machte, ließ Weiber und Kinder aus Skione und Mende nach Olynth auf Chalkidike bringen, legte auch fünfhundert peloponnesische Hopliten und dreihundert chalkidische Peltasten unter Polydamas in die Stadt, wo man sich nun, da die Athener jeden Augenblick eintreffen konnten, gemeinsam auf die Verteidigung einrichtete. Mittlerweile zogen Brasidas und Perdikkas zum zweiten Male miteinander nach Lynkos gegen Arrhibaios. Perdikkas führte sein makedonisches Kriegsvolk und Hopliten aus den griechischen Städten seines Reichs ins Feld, Brasidas außer den bei ihm verbliebenen Peloponnesiern auch Chalkidier, Akanthier und Kontingente der übrigen Städte. Im ganzen befanden sich in ihrem Heere an schwerem griechischen Fuß­ volk ungefähr dreitausend Mann, an makedonischer und chal­ kidischer Reiterei gegen tausend und außerdem eine Menge Barbaren. Als sie in das Gebiet des Arrhibaios eingerückt waren und sein Heer schon im Felde fanden, bezogen auch sie ihm gegenüber ein Lager. -Hüben und drüben hatte das Fuß­ volk Anhöhen besetzt, zwischen denen eine Ebene lag, in welche nun die Reiterei beider Teile hineinsprengte, um sich zunächst eine Reiterschlacht zu liefern. Als dann zuerst auch das feind­ liche Fußvolk hinter den Reitern her von der Höhe herabkam, um in den Kampf einzugreifen, führten auch Brasidas und Perdikkas ihre Leute zum Angriff vor und schlugen die Gegner in die Flucht, von denen viele auf dem Platze blieben, der Rest aber in die Berge flüchtete und sich nicht mehr blicken ließ. Hierauf errichteten sie ein Siegeszeichen und blieben dann dort noch zwei oder drei Tage stehen, um die Illyrier zu erwarten, welche Perdikkas in Sold genommen hatte, und die fordersamst eintreffen mußten. Danach wollte Perdikkas weiter gegen die Dörfer des Arrhibaios vorrücken und sogleich aufbrechen. Brasidas aber, der sich um Mende Sorge machte und befürchtete, wenn die athenische Flotte inzwischen dort einträfe, könnte der Stadt ein Unglück zustoßen, hatte dazu keine Neigung, zumal auch die Illyrier ausgeblieben waren, sondern war für den Rückzug. Während sie darüber stritten, kam die Nachricht, daß die Illyrier Perdikkas im Stich gelassen und sich Arrhibaios an­ geschlossen hätten. Nun sahen sie beide ein, daß ihnen solch streitbaren Feinden gegenüber nichts übrigblieb, als den Rück­ zug anzutreten; infolge ihres Streites hatten sie jedoch ver­ säumt, sich über die Zeit zu verständigen, wann aufgebrochen werden sollte. In der Nacht aber überkam die Makedonier und die barbarischen Völker eine plötzliche Furcht, wie ja manch­ mal in großen Heeren ein blinder Lärm entsteht. In der Meinung, die Feinde seien noch viel zahlreicher, als sie wirk­ lich waren, und würden im nächsten Augenblick über sie her­ fallen, wandten sie sich plötzlich zur Flucht und liefen davon. Als Perdikkas, der anfangs nichts davon gemerkt hatte, das gewahr wurde, sah auch er sich gezwungen, mit abzuziehen, noch ehe er Brasidas sprechen konnte, da die beiden Lager weit voneinander entfernt waren. Als Brasidas bei Tages­ anbruch sah, daß die Makedonier schon über alle Berge waren und die Illyrier und Arrhibaios Miene machten, ihn an­ zugreifen, zog er seine Hopliten in ein Viereck zusammen, nahm das leichte Volk in die Mitte und dachte, so seinen Rück­ zug zu bewerkstelligen. Zum Ausfall gegen etwaige Angriffe stellte er seine Jüngsten an, er selbst aber bildete mit drei­ hundert auserwählten Leuten den Beschluß des Zuges, um damit den Anprall des feindlichen Vortrabs abzuweisen. Bevor die Feinde herankamen, ermutigte er seine Soldaten in der Eile noch durch folgende Worte: „Wenn ich nicht besorgen müßte, es könnte euch doch schwül werden, wo ihr euch von euren Bundesgenossen im Stich gelassen und den Angriffen einer solchen Masse von Barbaren ausgesetzt seht, so würde mir nicht einfallen, indem ich euch zum Kampf anfeuere, euch zugleich belehren zu wollen. Da aber unsere Bundesgenossen davongelaufen und unserer Feinde so viele sind, möchte ich euch doch mit wenig Worten einige gute Lehren geben. Nicht, weil ihr grade in dem Augenblick Bundesgenossen zur Seite habt, ziemt eS euch, mutig in den Kampf zu gehen, sondern weil euch die Tapfer­ keit im Blute liegt. Ihr dürft euch vor keinen Feinden fürchten, seien ihrer auch noch so viele; denn das ist bei euch des Landes nicht der Brauch, herrschen ja dort auch nicht viele über wenige, sondern wenige über viele, und diese ver­ danken ihre Herrschaft eben ihrer Überlegenheit aus dem Schlachtfelde. Diese Barbaren, die ihr jetzt aus Unkunde fürchtet, solltet ihr doch kennen. Nach dem, was ihr von ihnen in den Kämpfen mit den Makedonien! gesehen, und was ich selbst von ihnen weiß oder von anderen gehört habe, braucht ihr vor ihnen nicht bange zu sein. Sobald man sich überzeugt, daß scheinbare Stärken des Feindes in Wahrheit Schwächen sind, nimmt man es um so mutiger mit ihm auf, wie man ja auch einem wirklich tapferen Feinde dreister zu Leibe geht, ehe man ihn aus Erfahrung kennt. Diese wilden Völker machen auf den, der sie noch nicht kennt, von weitem einen furchtbaren Eindruck. Schon der Anblick der Menge ist schreckhaft, das laute Kriegsgeschrei entsetzlich, und bei dem unsinnigen Waffen­ schwenken kann einem angst und bange werden. Hält man aber^ stand, so sind sie so schlimm nicht. Sie fechten nicht in Reih und Glied und halten eS nicht für schimpflich, vor der Übermacht wegzulaufen; Flucht und Angriff gelten bei ihnen für gleich ehrenvoll, und man weiß nie, wie es mit ihrer Tapferkeit steht. Bei ihrer Fechtweise, bei der jeder sein eigener Führer ist, findet der einzelne leicht Gelegenheit, sich mit An­ stand aus dem Staube zu machen. Statt unS ernstlich zu Leibe zu gehen, halten sie es für rätlicher, uns nur von weitem zu schrecken; denn sonst würden sie auch dazu übergehen. Offenbar also hat es mit dem ersten Schrecken nicht viel auf sich, er ist eben nur für Augen und Ohren berechnet, und wenn ihr euch daraus nichts macht und zur rechten Zeit euren Rückzug in guter Ordnung fortsetzt, so werdet ihr bald in Sicherheit sein. Für die Zukunft aber werdet ihr euch merken, daß solche wilde Horden, wenn der Gegner ihren ersten Anlauf aushält, nur von weitem mit ihrer Tapferkeit prahlen, ihm aber, wenn er weicht, beständig auf den Fersen bleiben und ohne sich in Gefahr zu begeben, ihren Heldenmut zur Schau tragen." Nachdem Brasidas seine Leute also ermutigt hatte, trat er den Rückzug an. Als die Barbaren das sahen, drangen sie mit gewaltigem Lärm und lautem Geschrei auf ihn ein in der Meinung, er fliehe vor ihnen, und sie könnten ihn nun mit seinem Heere nur so ohne weiteres über den Haufen werfen. Da man jedoch ihren Angriffen überall durch Ausfälle be­ gegnete und Brasidas selbst mit seiner auserwählten Schar den Rücken deckte, stießen sie gleich beim ersten Anlauf auf unerwarteten Widerstand, und auch ihre weiteren Angriffe wurden sämtlich aufgenommen und abgeschlagen; inzwischen aber, wenn sie sich vershcnauften, setzte man den Rückzug fort. Darauf ließ die Masse der Barbaren von den Griechen deS Brasidas in der Ebene ab, und nur ein Teil von ihnen blieb zurück, um sie weiter zu verfolgen und zu beunruhigen. Die übrigen setzten den flüchtigen Makedoniern nach, machten alles nieder, was ihnen in den Wurf kam, und eilten voraus, um den Engpaß zwischen den beiden Höhenzügen zu besetzen, durch den die Straße in das Land des Arrhibaios führt, die einzige, auf der, wie sie wußten, Brasidas seinen Rückzug nehmen konnte, wo sie ihn, im Begriff, in den gefährlichen Paß einzurücken, zu umstellen und abzufangen dachten. Er aber merkte das und befahl seinen Dreihundert, sie sollten einzeln, jeder so schnell wie möglich, die Höhe erklimmen, auf deren Besetzung es nach seiner Ansicht hauptsächlich an­ kam, und die Barbaren, die dort schon angelangt, wieder zu vertreiben suchen, bevor sie zu seiner völligen Umzingelung weitere Verstärkungen erhielten. Die gewannen auch die Höhe und vertrieben die Feinde von dort, so daß das griechische Heer seinen Marsch dahin nun leichter fortsetzen konnte. Denn die Barbaren waren durch die auf der Höhe erlittene Nieder­ lage in Schrecken versetzt und gaben es auf, sein Heer weiter zu verfolgen, zumal sie glaubten, daß eS schon an die Grenze gelangt und glücklich durchgekommen sei. Nachdem Brasidas sich der Höhen bemächtigt, setzte er seinen Marsch fort, ohne weiter belästigt zu werden, und kam noch an demselben Tage nach Arnissa, den ersten Ort im Reiche des Perdikkas. Wenn aber seinen über den verfrühten Abzug der Makedonier er­ bitterten Leuten deren Ochsengespanne in den Weg kamen oder ihnen Gepäck in die Hände fiel, das sie weggeworfen hatten, wie das ja auf einem gefährlichen nächtlichen Rückzüge natür­ lich nicht ausbleibt, so spannten sie die Tiere aus und schlugen sie tot oder eigneten sich die Sachen an. Seitdem erst be­ trachtete Perdikkas Brasidas als seinen Feind und warf auf die Peloponnesier einen Haß, der seinen wahren Gefühlen gegen die Athener keineswegs entsprach, suchte sich auch gegen seine dringenden Interessen so schnell wie möglich mit den Athenern zu stellen und von den Peloponnesiern loszumachen. Als Brasidas aus Makedonien nach Torone zurückkam, fand er die Athener schon im Besitz von Mende, und da er sich augenblicklich für zu schwach hielt, nach Pallene überzusetzen und es ihnen wieder zu entreißen, blieb er ruhig in Torone und suchte es zu halten. Zur Zeit der Kämpfe in Lynkos waren nämlich die Athener mit fünfzig Schiffen, die sie gleich ausgerüstet hatten, darunter zehn auS Chios, tausend athenischen Hopliten, sechshundert Bogenschützen, tausend thrakischen Söld­ nern und einer Anzahl Peltasten aus den dortigen Bundesstädten unter Nikias, Nikeratos' Sohn, und Nikostratos, Diitrephes' Sohn, nach Mende und Skione unter Segel gegangen. Nach­ dem sie mit der Flotte von Potidäa abgefahren, landeten sie beim Poseidontempel und setzten sich gegen Mende in Marsch. Die Einwohner aber hatten mit dreihundert zu ihnen gestoßenen Skionern und den peloponnesischen Hilfstruppen, im ganzen siebenhundert Hopliten, unter ihrem Anführer Polydamas auf einer Höhe außerhalb der Stadt eine feste Stellung genommen. Nikias versuchte nun mit hundertzwanzig Leichtbewaffneten aus Methone, sechzig ausgewählten athenischen Hopliten und sämtlichen Bogenschützen die Höhe auf einem schmalen Pfade zu gewinnen, konnte aber nichts ausrichten und wurde dabei selbst verwundet. Auch Nikostratos, der mit dem ganzen übrigen Heere auf einem anderen, weiteren Wege gegen die schwierige Höhe vorging, kam dabei arg ins Gedränge, und es fehlte wenig, so hätte das ganze athenische Heer hier eine Nieder- läge erlebt. Da die Mender und ihre Verbündeten ihre Stellung behauptet hatten, zogen sich die Athener für den Tag zurück und schlugen ein Lager auf, und auch die Mender gingen, als es Nacht geworden, wieder in die Stadt. Am Tage drauf kreuzten die Athener mit ihren Schiffen in der Richtung nach Skione, bemächtigten sich der Vorstadt und verheerten den Tag über das Land; aus der Stadt aber kam niemand zum Vorschein, da es auch dort schon zu Un­ ruhen gekommen war. Die dreihundert Skioner gingen in der folgenden Nacht wieder nach Hause. Am nächsten Tage rückte Nikias mit der Hälfte des Heeres vor und verwüstete das Stadtgebiet und zugleich die daranstoßenden Felder der Skioner, während Nikostratos sich mit der anderen Hälfte beim oberen Tore, aus dem es nach Potidäa geht, unmittelbar vor die Stadt legte. Nun befahl PolydamaS den Mendern, die hier mit ihren Verbündeten innerhalb der Stadtmauern die Waffen abgelegt hatten, anzutreten und gegen den Feind aus­ zurücken, und als jemand auS dem Volke sich dagegen auf­ lehnte und erklärte, ausgerückt werde nicht, man habe keine Lust, sich blutige Köpfe zu holen, packte er ihn mit der Hand und schüttelte ihn, daß er sich verjagte. Darüber geriet das Volk in Wut, nahm flugs die Waffen auf und wandte sich gegen die Peloponnesier und deren Anhänger in der Stadt und schlug sie in die Flucht, da sie auf den Angriff nicht ge­ faßt, aber auch zu gleicher Zeit dadurch in Schrecken versetzt waren, daß den Athenern das Tor geöffnet wurde. Sie glaubten nämlich, man habe den Angriff auf sie infolge einer vorherigen Verabredung mit den Athenern unternommen. Was von ihnen nicht gleich niedergemacht wurde, flüchtete in die Burg, die sie auch vorher schon besetzt gehabt hatten. Die Athener aber, - auch Nikias war inzwischen an di? Stadt zurückgekommen, - drangen nun mit ihrem ganzen Heere in die Stadt ein und plünderten sie, da sie sich nicht vergleichsweise übergeben hatte, wie wenn sie sie mit Sturm genommen hätten, ja nur mit Mühe konnten die Feldherren ihre Leute abhalten, nicht auch die Einwohner zu töten. Nachher ließen sie ihnen aber doch ihre bisherige Verfassung und gestatteten ihnen, unter sich selbst auszumachen, wer etwa des Abfalls wegen zur Strafe zu ziehen sei. Die Peloponnesier aber auf der Burg schlossen sie durch eine Mauer ein, die sie auf beiden Seiten bis an die See führten und durch ihre Truppen bewachen ließen. Nachdem sie Mende wieder in ihrer Gewalt hatten, wandten sie sich gegen Skione. Die Einwohner und die Peloponnesier waren schon vor­ her ausgerückt und hatten eine starke Stellung auf einer Höhe vor der Stadt eingenommen, die der Feind erst nehmen mußte, wenn er die Stadt abmauern wollte. Die Athener erstürmten sie aber und vertrieben die Gegner von dort mit der blanken Waffe. Nachdem sie ein Siegeszeichen errichtet, bezogen sie ein Lager und machten Anstalt, die Stadt mit einer Mauer einzuschließen. Bald nachher, als sie schon an der Arbeit waren, trafen auch die in Mende auf der Burg belagerten Peloponnesier, die sich bei Nacht am Strande durch die feind­ lichen Linien durchgeschlagen hatten, vor Skione ein und ge­ langten durch das athenische Heer meist glücklich in die Stadt. Während man noch mit der Einschließung von Skione beschäftigt war, sandte Perdikkas einen Herold an die athenischen Feldherren und schloß aus Haß, den er seit dem Rückzüge aus Lynkos gegen Brasidas hegte, einen Vertrag mit den Athenern, mit denen er sogleich Verhandlungen angeknüpft hatte. Grade damals nämlich war der Lakedämonier Jschagoras zu Lande mit einem Heere zu Brasidas unterwegs. Perdikkas aber, von dem Nikias nach Abschluß des Vertrags Beweise seiner aufrichtigen Gesinnung gegen die Athener verlangt hatte, und der auch seinerseits die Peloponnesier sich nicht mehr ins Land kommen lassen wollte, bewog seine Freunde in Thessalien, wo er immer Beziehungen mit den ersten Familien unterhielt, ihn mit seinem Heere nicht durchzulassen, so daß er gar nicht ver­ . suchte, damit durch Thessalien zu ziehen. Indessen kamen JschagoraS, Ameinias und Aristeus selbst aber doch bei Brasidas an, um sich im Auftrage der Lakedämonier die Sache an Ort und Stelle anzusehen. Ganz gegen die sonstige Gepflogenheit brachten sie einige junge Herren aus Sparta mit, um sie als Vögte in den Städten einzusetzen, damit diese nicht dem ersten besten in die Hände fielen, auch setzten sie Klearidas, Kteony­ moS' Sohn, in Amphipolis und Pasitalidas, Hegesandros' Sohn, in Torone als solche ein. * In demselben Sommer schleiften die Thebaner die Mauer der Thespier, denen sie athenische Gesinnung schuld gaben. Sie hätten das schon immer gern getan, konnten daran aber jetzt um so eher denken, da die Blüte der jungen Mannschaft der Thespier in der Schlacht gegen die Athener gefallen war. In demselben Sommer brannte auch der Heratempel in Argos ab. Die Priesterin Chrysis hatte eine brennende Lampe zu nahe an die Kränze gestellt und war darüber eingeschlafen, so daß das Feuer unbemerkt ausbrach und alles ein Raub der Flammen wurde. Chrysis entfloh aus Furcht vor den Argaiern noch in derselben Nacht nach Phlius. In Argos aber wählte man dem Herkommen gemäß eine neue Priesterin mit Namen Phaeinidas. Chrvsis war bis ihrer Flucht neuntehalb Jahr Prießen neqewefn Als der Sommer bereits zu Ende ging, wurde die Mauer bei Skione fertig. Zu ihrer Bewachung ließen die Athener eine Besatzung zurück und zogen mit dem übrigen Heere wieder ab. Im nächsten Winter ruhten infolge des Stillstandes die Waffen zwischen den Athenern und den Lakedämoniern. Zwischen den Mantineern aber und den Tegeern und ihren beiderseitigen Bundesgenossen kam es bei Laodikion im Orestischen zur Schlacht, in welcher der Sieg zweifelhaft blieb; denn beide Teile hatten den einen ihnen gegenüberstehenden Flügel ge­ schlagen. Beide errichteten ein Siegeszeichen und sandten Beutestücke nach Delphi. Nach großen Verlusten auf beiden Seiten machte die Nacht der Schlacht ein Ende, bevor sie entschieden war. Die Tegeer, welche daS Schlachtfeld be­ haupteten, errichteten sogleich ein Siegeszeichen; die Mantineer aber, die sich nach Bukolion zurückgezogen hatten, taten es später auch. In demselben Winter, kurz vor Frühlingsanfang, ver­ suchte Brasidas sich Potidäas zu bemächtigen. Er machte sich bei Nacht an die Stadtmauer und ließ eine Leiter anlegen, was zunächst unbemerkt blieb. Denn bevor die Schildwache, die mit der Glocke die Runde machte und sie weitergeben mußte, auf ihren Posten zvrückkam, hatte man inzwischen die Leiter angelegt. Da es dann aber doch noch früh genug be­ merkt worden war, ehe jemand hinaufsteigen konnte, zog er noch vor Tagesanbruch mit seinem Heere schleunigst wieder ab. Damit endete der Winter und das neunte Jahr des Krieges, den Thukydides beschrieben hat.i